Hiebe mit dem Rapier

Hiebe mit dem Rapier

Warum sollte man mit dem Rapier eigentlich Hiebe trainieren? Gibt es doch laut Literatur der italienischen Schule um 1600 gegen jeden Hieb einen Stich als Schmäh, der diesem immer überlegen ist – beziehungsweise zumindest sein sollte (in echt läuft ja dann das Fechten doch nicht immer so ideal ab, wie es in der Theorie gern beschrieben wird).

Für die Langschwertszene ist diese Frage wohl obsolet, für Menschen allerdings, die über Rapier, Smallsword oder Degen zum Fechten gekommen sind, eine durchaus legitime und häufig gestellte Frage.

Nun ist das Rapier generell eine Waffe, die viel effektiver auf den Stich als auf den Hieb geführt werden kann, doch ist es nicht von geringem Nutzen, diese im Training gründlich zu üben, sei es, um sie in der passenden Gefechtssituation routiniert einsetzen zu können, als auch um sich gegen Hiebe entsprechender Weise zur Wehr setzen zu können und von diesen nicht durch fehlende Praxis im Sparring überrascht, geschweige denn überfordert zu werden. Das Trainieren von Hieben ist zudem eine hervorragende Methode zur generellen Kräftigung, Konditionierung und dem Ansprechen von Muskelgruppen & Bewegungsmustern, die im rein auf den Stich fokussierten Training normalerweise nicht in diesem Ausmaß trainiert werden – um vom reinen Unterhaltungswert der Abwechslung gar nicht erst zu sprechen, Hauen macht nun mal auch einfach richtig Spaß. Auf jeden Fall erweitert das Hieb-Training nicht nur das Repertoire der Trainierenden, sondern vertieft auch deren Verständnis vom Fechten als Ganzes und öffnet nicht zuletzt Türen in andere Disziplinen der historischen europäischen Kampfkünste.

Nicoletto Giganti fencing book plate

Der Einser-Schmäh gegen den Hieb, hier aus Gigantis Fechtbuch

Capoferro hält den Hieb vor allem in der Misura Stretta für unbrauchbar, da die Rotationsbewegung der Hand die eigene Blöße zu sehr öffnet und dabei noch dazu Tempo & Mensur dem Gegner überlässt – im direkten Vergleich zum Stich. Warum kommen die Hiebe im Buch dann aber doch immer wieder vor? Die pragmatischste Lösung findet sich bei Di Grassi, der ebenfalls den Stich für den besseren Angriff hält – es sei denn, die Situation gestaltet sich so, dass einen der Hieb gerade schneller ans Ziel führt. Und wenn man auch nicht die Intention verfolgt, mit einem Hieb zu treffen, so eröffnet er immer noch unzählige taktische Möglichkeiten im Vorfeld, geschickte Paraden & eingängige Finten.

Der Fechtmeister aus Cagli hätte für sein Buch sogar noch einige Tafeln geplant, in denen er genauer auf Hiebtechniken eingehen wollte – diese dann aber nur auf eine überschaubare Textstelle zusammengekürzt. Generell erschließt sich aus dem Buch aber, dass er Hiebe in Kombination mit dem Parierdolch viel eher einsetzt als im Spada sola. Falls nicht anders angemerkt, werden die Hiebe meist mit der langen Schneide (filo dritto) ausgeführt, die mit der kurzen Schneide (filo falso) werden im Normalfall direkt als Falsi bezeichnet. In der Regel folgen die Hiebe im italienischen Rapier um 1600 folgendem Muster; die von oben werden mit der langen Schneide geführt und sind offensiver Natur, die Hiebe von unten kommen mit der Rückschneide und dienen zur Parade.

In der folgenden Auflistung werde ich mich an die gängige italienische Nomenklatur der frühen Neuzeit halten, die in sich über die einzelnen Quellen hinweg natürlich keineswegs kohärent ist, weder inhaltlich und schon gar nicht orthographisch. Inhaltlich habe ich mich hier für die gebräuchlichsten Varianten entschieden und der Einfachheit dieses ersten Einblicks halber weit nicht alle Möglichkeiten zur Diskussion gestellt, benennungstechnisch habe ich frech einfach die mir euphonischsten Varianten gewählt. Die Systematik der Nomenklatur erlaubt verschiedenste Kombinationen aus Hiebrichtungen, -ebenen & -qualitäten, aber auch einige singulär verwendete Bezeichnungen. Es folgen daher zwei Tabellen, eine mit der Übersetzung der italienischen Begriffsbausteine (und deren gängigsten Schreibweisen) sowie eine weitere mit den wichtigsten Hieben. Zur Visualisierung der gängigsten Hiebe dient die folgende Tafel aus Fabris‘ Fechtbuch, welche er ungeniert 1:1 aus Marozzos Opera Nova übernommen hat (eine ähnliche findet sich über zwei Jahrhunderte davor sogar schon bei Philippo di Vadi).

Wo nach Fabris die jeweiligen Hiebe auftreffen sollen


Die wichtigsten Hiebe:

Battuta Hieb auf die gegnerische Klinge

Falso Dritto

 

Unterhau von rechts mit der kurzen Schneide
Falso Manco Unterhau von links mit der kurzen Schneide
Mandritto Fendente Gerader Hieb von oben, rechts beginnend

Mandritto Squalembrato

 

Schräger Oberhau von rechts
Mandritto Tondo Horizontaler Hieb von rechts nach links
Montante Gerader Hieb von unten nach oben mit der kurzen Schneide; auch Sotto Mano
Mulinello Zirkulärer Hieb aus dem Handgelenk, endet als Fendente, Spitze fällt zu Beginn zur eigenen Außenseite weg (wird auch Synonym zum Tramazzone verwendet); auch Mulinetto
Riverso Fendente Gerader Hieb von oben, links beginnend
Riverso Ridoppio Schräger Unterhau von links mit der langen Schneide
Riverso Squalembrato Schräger Oberhau von links

Riverso Tondo

 

Horizontaler Hieb von links nach rechts
Tramazzone Zirkulärer Hieb aus dem Handgelenk, endet als Fendente, Spitze fällt zu Beginn zur eigenen Innenseite weg (wird auch Synonym zum Mulinello verwendet); auch Stramazzone

Die wichtigsten Begriffe:

colpo

 

Hieb

dritto

 

hier: (von) rechts

falso

 

Hieb mit der kurzen Schneide

fendente

 

vertikal/vertikaler Hieb

intero/finito

 

ganz, vollständig

manco

 

hier: (von) links

mandritto

 

Hieb von rechts nach links; auch dritto

mezzo

 

halb
ridoppio Unterhau mit der langen Schneide, seltener auch wörtl.; verdoppelter Hieb

riverso

 

Hieb von links nach rechts; auch reverso, roverso, rovescio
squalembrato diagonal; auch squalimbro, squalimbrato, ordinario

taglio

 

Schnitt

tondo

 

horizontal/horizontaler Hieb (wörtl.: rund)

 

Quellen

  • Achille Marozzo, Opera Nova (Bologna, 1536)
  • Giacomo Di Grassi, Ragione di adoprar sicuramente l’Arme (Venezia, 1570)
  • Giovanni dall’Agocchie, Dell’Arte di Scrima Libri Tre (Venezia, 1572)
  • Giuseppe Morsicato Pallavicini, La Scherma Illustrata (Palermo, 1670)
  • Nicoletto Giganti, Scola, Overo Teatro (Venezia, 1606)
  • Ridolfo Capoferro, Gran Simulacro dell’Arte e dell’Uso della Scherma (Siena, 1610)
  • Salvator Fabris, Scienza d’Arme (Copenhagen, 1606)

 

 

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